Uwe
Dennis
Kerstin
Jensen
Andi
Fritz
Wilfried
Andre
Ronny
Gabriel
Sašo
Stefan
Jana
Yari
Maggi
Julien
In Berlin leben zwischen 4.000
und 10.000 Menschen auf der Straße.
Manche von ihnen sehe ich jeden Tag, manchen werfe ich Geld ein, wenn ich aus dem Supermarkt komme, manche sind eine feste Institution auf meinem Weg ins Atelier. Doch wie oft bleibe ich stehen und suche ein Gespräch? Von Januar bis April bin ich regelmäßig mit Stift und Skizzenbuch an Orte gegangen, wo Obdachlose Schutz vor der Kälte des Winters gesucht haben. Ich wollte herausfinden, wer die Menschen sind, die hier leben und welche Geschichten sie zu erzählen haben.
klick mich
uwe
»Suchste ’nen Platz zum Pennen, Großer? Packste Dich mit zu uns!«, schmunzelt ein vergilbter Vollbart als ich zum ersten Mal mit meinem großen Rucksack in die gelb gekachelte Unterführung herabsteige und mich unsicher zwischen den grauen Pfeilern umherdrücke. Inmitten von Tütenbergen, Isomatten, Einkaufswagen und Schlafsäcken knutschen zwei Piercinggesichter, eine verwirrte Frau spielt barfuß mit ihren Schlappen Fußball und ich beobachte mit einer Mischung aus Unbehagen und Neugier wie eine Gestalt unter einer löchrigen Decke braunes Pulver auf einem Stück Alufolie erhitzt. Grelle Heavy Metal-Musik donnert aus einer Bluetooth-Box und vermengt sich mit dem eisigen Durchzug. Ich fingere in meinem Rucksack nach Skizzenbuch und Stiften, atme tief durch und gehe ein paar Schritte weiter den Gang entlang.
dennis
»Meins, meins, meins!!!« – Eine Wollmütze mit Duden auf dem Schoß und ein Kleinwüchsiger mit Ratte auf der Schulter streiten sich lachend um die letzten Stücke Dosenthunfisch. Sie imitieren die Möwen aus »Findet Nemo« und den Schwulen aus dem »Schuh des Manitu«, gemeinsam schwelgen wir in Erinnerungen an die Otto-Filme. Ihre Freundinnen im Lager nebenan verdrehen die Augen. Auf ihren Smart Phones läuft »Das Dschungelcamp« und »Hart, aber Fair«.
kerstin
»Ich liebe dieses Leben, ich hasse dieses Leben«, murmelt eine blasse Rotweintrinkerin immerzu vor sich hin, während sie ihren Schlafplatz fegt und mit Blumen dekoriert. Ich darf sie nur mit Sonnenbrille und Kapuze zeichnen, damit man ihre verweinten Augen nicht sieht, und die ungewaschenen Haare. Später setzt sich ihr Freund zu uns. Heute sei ein schöner Tag gewesen, erzählt er. Sie hätten ihren Pegel erreicht, viel zusammen gelacht und er sei kein einziges Mal aggressiv gegenüber ihr geworden. Von seinem Handy aus ruft sie ihre Tochter an. »Sie fragt mich immer, ob wir uns nicht schämen, hier im U-Bahnhof zu pennen«, schluchzt sie und umarmt mich als ich aufstehe.
jensen
Ein paar Kacheln weiter erklärt mir ein Blauhaariger mit »Hirntot«-Schriftzug auf seinem Unterarm wie man aus aus Löffel, Nadel und Kugelschreiber eine Tätowiermaschine bastelt. Sein zahnlückiger Lederjackenkumpel fordert mich heraus zu einer Partie Mau-Mau. »Wer verliert, bekommt die Nägel bunt lackiert!«, grinst er und verteilt die Karten. Mein Skizzenbuch dient mir als Sitzkissen, unter meinem frierenden Hintern vibriert die U-Bahn.
andi
Im 5-Minuten-Takt spült der Untergrund Menschen auf dem Weg in den Feierabend die Treppen empor. Eine Frau mit Sonnenstudiobräune steckt angewidert die Nase unter ihren Schal, ein Anzugträger mit rosa Krawatte senkt den Blick, zwei Jungs mit Fußballtaschen beschleunigen den Schritt. »Meine Lieben, ’ne winzige Spende?«, ruft ihnen ein alkoholisierter Magazinverkäufer hinterher. »Willste das nich’ auch mal probieren?«, fragt er mich. »Dann musste nich’ rumkritzeln für Dein Geld!«
fritz
wilfried
»Ach, das mit der Zeichnerei ist doch besser als die ganzen Leute, die hier durch unsere Lager latschen und einfach so Fotos von uns machen«, zuckt ein hustender Rotbackiger gleichgültig mit den Schultern, als ich ihn umständlich frage, ob es ihn stören würde, wenn ich ihn portraitiere. »Andere Leute jonglieren auf der Straße oder rappen irgendein wirres Zeug. Da wird man ja wohl noch zeichnen dürfen«, lächelt eine Stotternde mit geweiteten Ohrläppchen. »Deine Zeichnung beweist mir, dass ich ein Mensch bin, das macht mich froh«, sagt ein rauchender Schlapphut. Je öfter ich den Bahnhof besuche, desto normaler wird meine Zeichnerei für die Obdachlosen und ich verliere meine Anspannung mehr und mehr.
»Haste noch Zeit für’n Bild von unserer kleinen Familie?«, fragen mich eines Nachts zwei Punks namens Filmriss und Dragon. Es ist mittlerweile 1 Uhr, die Kälte hat sich durch all meine Schichten geschnitten und ich sehne mich nach nichts mehr als unter drei Decken in meinem beheizten Zimmer zu liegen. Ich setze mich zwischen die Hunde Bronko, Sheila und Odin und nehme einen Zug von der mir angebotenen Wasserpfeife. Ein Glatzkopf wankt vorbei und spuckt in unsere Richtung.
»Ich schlitz euch auf, wenn ihr schlaft!«, keift er. »Alerta! Alerta! Antifascista!«, brüllt es zurück. Fäuste klatschen, Zähne splittern, Flaschen zerbersten, Lippen bluten, die Hunde bellen. Polizisten und andere Obdachlose stürmen dazwischen, eine zeternde Frau bekommt einen Schreikrampf, Sicherheitskräfte drohen mit Räumung des Bahnhofs, eine Fransenjacke mit Gitarre gröhlt »Knocking on Heaven’s Door«.
andre
»Das is’ eine Schlafmeile, keine Partymeile!«, stöhnt ein Schlaftrunkener. »Das is’ die Straße«, seufzt ein Streetworker. »Das is’ besser als Kino«, amüsiert sich ein Kinnbart, verschränkt die Arme hinterm Kopf und lehnt sich zurück an die gelben Kacheln.
»Verpetzte uns aber nich’, ne?!«, grinsen der Mann mit dem Silberblick und der mit dem schwarzen Scheidezahn und nehmen tiefe Schlücke aus Pilsator-Dosen, die sie unter ihren Jacken versteckt halten. Den kreisenden Joint lehne ich dankend ab. Mit angezogenen Schultern stehe ich dicht an dicht gedrängt zwischen Daunenjacken, Fellkragenparkas, Rucksäcken und Taschen, inmitten sich begrüßender Ghetto-Fäuste, Alkoholfahnen und den Gerüchen ungewaschener Körper. Zu meinen Füßen erbricht sich ein Mann mit Ohrenschützern. Alle sind fixiert auf die sich öffnende Tür. Als die Sicherheitskräfte die Schlafplatznummern ausgeben, gerät der Container vor der weißen Kuppel ins Wanken.
ronny
»Willkommen am Tisch der germanischen Fraktion«, sagt ein Pferdeschwanz mit Bundeswehrabzeichen, nachdem er mir einige Minuten lang eindringlich über die Schulter geblickt hat und ich so getan habe, als würde mich das nicht irritieren. Seine Kumpanen nicken. Sie erzählen, dass die Bundesrepublik nicht mehr das Goldene Land sei, das es früher mal war und werfen verächtliche Blicke in Richtung des Tisches der »Polaken«, die immer nur über Deutschland schimpfen würden.
gabriel
»Es gibt schon viel Rassismus und Feindseligkeit unter uns Obdachlosen. Von Seiten der Deutschen, genauso aber auch von Seiten der Osteuropäer«, erklärt ein unablässig handytippender Mittdreißiger am Nebentisch. »Aber wir, wir sind doch wie ’ne kleine Familie. Wir halten alle zusammen!«, wirft ein Zahnloser mit Schluckauf ein. »Bloß, dass man sich in einer Familie eigentlich nicht beklauen sollte …«, knurrt eine Tätowierte mit Sicherheitsnadel in der Nase und verengt die grauen Augen zu Schlitzen.
ronny
»Willkommen am Tisch der germanischen Fraktion«, sagt ein Pferdeschwanz mit Bundeswehrabzeichen, nachdem er mir einige Minuten lang eindringlich über die Schulter geblickt hat und ich so getan habe, als würde mich das nicht irritieren. Seine Kumpanen nicken. Sie erzählen, dass die Bundesrepublik nicht mehr das Goldene Land sei, das es früher mal war und werfen verächtliche Blicke in Richtung des Tisches der »Polaken«, die immer nur über Deutschland schimpfen würden.
»Willkommen am Tisch der germanischen Fraktion«, sagt ein Pferdeschwanz mit Bundeswehrabzeichen, nachdem er mir einige Minuten lang eindringlich über die Schulter geblickt hat und ich so getan habe, als würde mich das nicht irritieren. Seine Kumpanen nicken. Sie erzählen, dass die Bundesrepublik nicht mehr das Goldene Land sei, das es früher mal war und werfen verächtliche Blicke in Richtung des Tisches der »Polaken«, die immer nur über Deutschland schimpfen würden.
gabriel
»Es gibt schon viel Rassismus und Feindseligkeit unter uns Obdachlosen. Von Seiten der Deutschen, genauso aber auch von Seiten der Osteuropäer«, erklärt ein unablässig handytippender Mittdreißiger am Nebentisch. »Aber wir, wir sind doch wie ’ne kleine Familie. Wir halten alle zusammen!«, wirft ein Zahnloser mit Schluckauf ein. »Bloß, dass man sich in einer Familie eigentlich nicht beklauen sollte …«, knurrt eine Tätowierte mit Sicherheitsnadel in der Nase und verengt die grauen Augen zu Schlitzen.
»Es gibt schon viel Rassismus und Feindseligkeit unter uns Obdachlosen. Von Seiten der Deutschen, genauso aber auch von Seiten der Osteuropäer«, erklärt ein unablässig handytippender Mittdreißiger am Nebentisch. »Aber wir, wir sind doch wie ’ne kleine Familie. Wir halten alle zusammen!«, wirft ein Zahnloser mit Schluckauf ein. »Bloß, dass man sich in einer Familie eigentlich nicht beklauen sollte …«, knurrt eine Tätowierte mit Sicherheitsnadel in der Nase und verengt die grauen Augen zu Schlitzen.
sašo
»Ich mag Deutschland. Es ist alles nicht so barbarisch wie in meinem Land, wo jemand wie ich kaum Hilfe bekommt«, sagt ein ein slowenischer Hundebesitzer ein paar Tische weiter. Jedes seiner Worte bringt er nur mit großer Mühe über die Lippen. Seinen Rollstuhl solle ich nicht zeichnen, bittet er, »lieber einen Ferrari oder BMW«.
stefan
»Kann man mitmachen?«, nuschelt ein schüchterner Blondschopf, setzt sich zu uns und streicht ehrfürchtig über die Buntstifte in meiner Stiftemappe. »Ist ganz schön lange her …« Tief über das Blatt gebeugt werkelt er wortlos und mit akribischer Genauigkeit an einer einzelnen Zeichnung. Solange, bis die Lichter im Zelt gedimmt werden. Das fertige Bild steckt er mir unauffällig in mein Skizzenbuch.
jana
Auf einem Sofa in der Leseecke sitzt ein vor sich hin lächelnder Holländer und liest ein Drei ???-Buch. Daneben spielt ein Mann, der sich für Pavarotti hält, imaginäres Basketball mit einer jungen Sozialarbeiterin. »Bei manchen hier gibt es Hoffnung auf Besserung«, sagt sie. »Bei anderen ist das, hart gesagt, betreutes Sterben …«
yari
»… und ich bin mittendrin, zwischen all diesen Kranken und Verrückten«, klagt ein Hagerer mit brüchiger Stimme. Hatte er bislang apathisch in der Ecke gesessen und pausenlos mit seinem Bein gewippt, so redet er nun ohne Unterlass. Er fragt mich nach Arbeit, fragt mich nach einer Wohnung, fragt mich nach meiner Telefonnummer. Obwohl ich keine Idee habe wie ich ihm helfen könnte, gebe ich sie ihm. Ich will ihn nicht abweisen, gleichzeitig bin ich mir unsicher, wie viel Nähe man zulassen darf, wenn man hier arbeitet.
maggi
Im Neonlicht des Rauchercontainers kommen sich ein türkisener »I love Berlin«-Pulli und eine Vokuhila in Cowboystiefeln näher. »So viele Herzchen kannst Du gar nicht zeichnen wie zwischen denen rumschwirren«, krächzt eine Verschnupfte mit grimmigem Blick, deren faltiges Gesicht sich für einen kurzen Moment zu einem strahlenden Lächeln ausbreitet. Während wir uns unterhalten, klatscht sie sich immer wieder an die Unterschenkel, um die umherfliegenden piekenden Teufelchen zu vertreiben und spuckt mehrmals aus, um das Gift loszuwerden, das sie ihr einflößen.
julien
»Da ist nichts, das ist alles nur in deinem Kopf«, beruhigt sie ein Junge mit pflasterübersäten Armen und streicht ihr besänftigend über den Rücken. »Sie hat bestimmt irgendwas Schlimmes erlebt«, sagt er, nachdem sie gegangen ist. »Aber sie ist echt ’ne Liebe.« Mit glasigen Halbmastaugen sitzt er schwankend vor dem Heizkörper, trinkt Fencheltee und zündet sich umständlich seine andauernd erlischende Zigarette an. Vor mir sitzt ein Mensch Anfang 20, der mir eloquent und höchst reflektiert seine traurige Lebensgeschichte erzählt und dabei immer wieder mitten im Satz einschläft. Wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er einfach nicht in die falschen Verhältnisse geboren worden wäre?, frage ich mich. Nachdem ich ihn das vierte Mal wieder wachgerüttelt habe, hat er ein Einsehen und geht mit einem »Komm gut heim … und schau mal wieder vorbei« ins Bett.
Einige Minuten verharre ich noch alleine im Container. Dann lasse ich mir vom Wachmann die Zelttür aufsperren und er winkt mich hinaus in die Nacht. Ein paar verirrte Schneeflocken wehen mir ins Gesicht und wie automatisch spanne ich meine Schultern wieder an. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke nach oben und schiebe die Mütze ins Gesicht. Dann stapfe ich los in Richtung nach Hause.
Es ist Ende April. Die Luft riecht nach Flieder und blühenden Bäumen und es ist die erste Nacht des Jahres, in der ich meine dünne Sommerjacke trage. Die Erinnerungen an die wilden, rauen Winternächte hallen wie Schatten durch die nun menschenleere Unterführung, als ich zum ersten Mal nach Wochen wieder zum Bahnhof Lichtenberg zurückkehre. Ein kleiner Haufen Verbliebener lehnt nun an bunten Kacheln, unter freier Luft am Bahnhofseingang.
»Er nu’ wieder«, begrüßt mich Jensen und blickt kurz von seinem Erich Kästner-Buch auf. In zwei Wochen wird es so warm sein, dass er sein Zelt in einem Wald außerhalb Berlins aufschlagen kann oder genug Geld beisammen hat, um Freunde in Düsseldorf zu besuchen. Andi versucht seit einiger Zeit mit sichtlichem Erfolg einen Alkohol-Selbst-Entzug. War es ihm im Winter noch schwer gefallen, sich überhaupt von seinem Lager zu erheben, so schafft er es jetzt wieder, die ein oder andere Stunde täglich Pfandflaschen sammeln und Magazine verkaufen zu gehen. Fritz hat in ein paar Tagen einen OP-Termin für seinen Rücken, danach darf er für sechs Wochen in einem Wohnheim schlafen. Er freut sich auf ein ordentliches Bett, was danach wird, »weiß der Mann im Mond«. Alle anderen hat es in verschiedene Richtungen verstreut, wohin, wissen die wenigsten.
Die Streetworker stehen ausgelassen quatschend, rauchend, biertrinkend und mit Teewurst bestrichene Brote verteilend in einer Runde mit anderen ehemaligen Bewohnern des Kältebahnhofs. Ihr Vertrag mit der Kältehilfe ende in ein paar Tagen und da wolle man noch ein paar nette letzte Abende verbringen. »Schließlich haben wir ja so einiges gemeinsam erlebt, den ganzen langen Winter über!«, lachen sie und knuffen sich freundschaftlich in die Rippen.
Es ist Ende April. Die Luft riecht nach Flieder und blühenden Bäumen und es ist die erste Nacht des Jahres, in der ich meine dünne Sommerjacke trage. Die Erinnerungen an die wilden, rauen Winternächte hallen wie Schatten durch die nun menschenleere Unterführung, als ich zum ersten Mal nach Wochen wieder zum Bahnhof Lichtenberg zurückkehre. Ein kleiner Haufen Verbliebener lehnt nun an bunten Kacheln, unter freier Luft am Bahnhofseingang.
»Er nu’ wieder«, begrüßt mich Jensen und blickt kurz von seinem Erich Kästner-Buch auf. In zwei Wochen wird es so warm sein, dass er sein Zelt in einem Wald außerhalb Berlins aufschlagen kann oder genug Geld beisammen hat, um Freunde in Düsseldorf zu besuchen. Andi versucht seit einiger Zeit mit sichtlichem Erfolg einen Alkohol-Selbst-Entzug. War es ihm im Winter noch schwer gefallen, sich überhaupt von seinem Lager zu erheben, so schafft er es jetzt wieder, die ein oder andere Stunde täglich Pfandflaschen sammeln und Magazine verkaufen zu gehen. Fritz hat in ein paar Tagen einen OP-Termin für seinen Rücken, danach darf er für sechs Wochen in einem Wohnheim schlafen. Er freut sich auf ein ordentliches Bett, was danach wird, »weiß der Mann im Mond«. Alle anderen hat es in verschiedene Richtungen verstreut, wohin, wissen die wenigsten.
Die Streetworker stehen ausgelassen quatschend, rauchend, biertrinkend und mit Teewurst bestrichene Brote verteilend in einer Runde mit anderen ehemaligen Bewohnern des Kältebahnhofs. Ihr Vertrag mit der Kältehilfe ende in ein paar Tagen und da wolle man noch ein paar nette letzte Abende verbringen. »Schließlich haben wir ja so einiges gemeinsam erlebt, den ganzen langen Winter über!«, lachen sie und knuffen sich freundschaftlich in die Rippen.
Vor dem weißen Kuppelzelt steigt grauer Rauch auf. »Komm ran da! Heut’ wird angegrillt!«, winkt man mich herbei. Unter einem Einkaufswagen wird Kohle geschürt, auf dem Drahtgitter brutzeln Würstchen. Bierdosen und Joints machen nun offen die Runde, zwei Männer vergleichen stolz ihre Bäuche, die dicker geworden sind, in den letzten Tagen. Die Sicherheitskräfte machen kopfschüttelnd Fotos, um 22 Uhr fordern sie die Meute auf, sich doch so langsam hinein zu bewegen.
Die Tische im Zelt sind nur noch spärlich belegt, in der Leseecke tanzen drei Jungs zu arabischer Musik, die Helfer stehen beschäftigungslos am Eingang, die Eintopf-Bottiche sind noch zur Hälfte gefüllt. Ich sehe nur wenige bekannte Gesichter aus der Winterzeit.
Maggi erzählt mir von bahnbrechenden neuen Erkenntnissen. Sie habe gemerkt, dass sie selbst eine Außerirdische sei und das Klonen beherrsche. Und morgen werde sie nach oben fahren und sich dort von Arnold Schwarzenegger zur Königin krönen lassen. Mit Stefan sitze ich lange am Tisch und blättere in einem karierten DIN A5-Heft, das voll ist mit skurrilen Figuren, Landschaften und Gebäuden. »Hab ich alles in den letzten Wochen gezeichnet«, schmunzelt er. »Hast mich irgendwie angefixt.« Für Gabriel und seinen Hund ist es die letzte Nacht im Zelt, bevor sie für ein paar Tage in einem besetzten Haus unterkommen können. »Endlich hat der Spuk hier ein Ende«, seufzt er. »Ich hoffe, ich muss hier nie wieder schlafen.«
»Man sieht sich im nächsten Winter, Großer!«, ruft man mir hinterher als ich ein letztes Mal das Zelt verlasse. »Vorausgesetzt wir schaffen’s bis dahin …«, höre ich noch jemanden murmeln, dann fällt die hölzerne Tür ins Schloss. Ich öffne den Reißverschluss meiner Jacke und schiebe mein Rad durch die nächtlichen Straßen meines Viertels. Vor einem Spätkauf trinken Jugendliche Wodka-Mate, auf einer Parkbank turtelt ein Pärchen, im Schein einer Straßenlaterne sitzt ein Punk und spielt Flöte. Als ich ihm 50 Cent hinwerfe, hebt er seinen imaginären Hut. Ich setze mich auf den Bordstein und höre ihm noch ein wenig zu.